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Die Definition von Zivilisation und Kultur
Kapitel 2.2. des Buches Zivilisation als Fortsetzung der Evolution. Die Entwicklung der Erdbevölkerung zum System Menschheit. ISBN 978-3-00-024701-9
Die Begriffe "Zivilisation" und Kultur werden häufig, und besonders von Philosophen (z.B. Marcuse, L.: Triebstruktur und Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main. 1970), synonym gebraucht. Die Philosophie lebender Systeme hat eine eigene Definition von Zivilisation, die die Menschheit als Ganzes betrifft.
Zivilisation wird von mir als Fortsetzung der Evolution mit den gleichen Methoden auf anderer (geistiger) Ebene verstanden. Die Biologie entdeckt Entwicklungsregeln lebender Systeme, nämlich die Regeln der Evolution, scheint aber zu meinen, dass diese Regeln für eine Tierart, nämlich den Menschen, nicht gelten. Tatsächlich setzt sich natürlich die Evolution beim Menschen fort und hat hier ein spezifisches Erscheinungsbild. An die Stelle der Arten, die sich im Lauf der Evolution durch Überproduktion von Genträgern (= Individuen) und deren Selektion entwickeln, treten beim Menschen infolge der Sprachentwicklung die Staaten, und die Kriege übernehmen die biologische Selektionsfunktion. Die Individuen spielen bei der Evolution eine wichtige Rolle bei der Vermehrung der genetisch gespeicherten Daten. Durch die sexuelle Betätigung sorgen die zweigeschlechtlichen Arten, zu denen auch der Mensch gehört, dafür, dass ein enormer Überschuss an Nachkommen produziert wird, der in der Regel überwiegend als Futter für andere Arten Verwendung findet. Dies ist das zweite Evolutionsmittel der Natur, das von Biologen "Selektion" bezeichnet wird und das dazu führt, dass sich die genetisch gespeicherten Daten im Verlauf der Evolution immer weiter dahingehend vervollkommnen, dass sich deren Träger, die Individuen, gegen lebensfeindliche Umweltbedingungen immer besser durchsetzen. Die Tierart Mensch handelt als biologisches Wesen ebenso, hat allerdings inzwischen keine Fressfeinde mehr. Die Beseitigung des Überschusses an Nachkommen muss sie weitgehend selbst übernehmen. Aufgrund seines Gefühlslebens, insbesondere seiner genetisch gesteuerten sexuellen Verhaltensweisen, hat der Mensch offensichtlich Probleme, diesen Überschuss selbst bewusst zu vermeiden. Er müsste Selektionskriterien oder Geburtenbeschränkungen haben oder schaffen. Dies stößt offensichtlich auf starke Gefühle, die das verhindern. Zur Lösung dieses Problems erfindet er zur Durchführung aktiver Selektion durch Kriege Ideologien, die die Mitglieder des eigenen Stammes, Volkes oder Staats als "gut" definieren und die Menschen anderer Ideologien oder anderer Verhaltensweisen, als "schlecht", "minderwertig", "böse" und unterstellt diesen aggressive Absichten gegenüber den Mitgliedern des eigenen Staats. Mit Hilfe derartiger Ideologien, die auch einen sogenannten "religiösen" Charakter haben können, gelingt es den Staaten wenn auch unvollkommen , den Bevölkerungsüberschuss durch Massenmord an andersdenkenden Menschen zu vollziehen. Dass bei einem derartigen Krieg natürlich auch Menschen des eigenen Staats ihr Leben lassen müssen, ist selbstverständlich vorher bekannt, wird jedoch in der Regel nicht als Gegenargument benutzt. Die Individuen der kriegführenden Nationen oder Völker sind in jedem Fall die Leidtragenden derartiger Selektionsaktionen der Staaten, ganz egal, wer einen derartigen Krieg begonnen hat oder wer daran die "Schuld" trägt oder am meisten davon profitiert. Im Grunde handelt es sich um biologische Abläufe, die jenseits von gut und böse sind. Dass der Verlierer eines Krieges die Schuld übernehmen muss, weil der Sieger natürlich die Definitionsmacht hat, dieses menschenspezifische Beiwerk ist der Evolution egal.
Das Individuum ist also auch beim Menschen bei der Entwicklung von genetisch gespeicherten Daten immer nur Effektor (Ausführender von Anweisungen), dessen genetisch gespeicherter Auftrag darin besteht, einerseits für Überschuss an Nachkommen zu sorgen und andererseits die Arbeit der Selektion, also des Tötens, zu übernehmen. Der Mensch setzt also zunächst die tierischen Methoden der Evolution (Überschuss an Nachkommen und Selektion) mit eigenen menschenspezifischen Verhaltensweisen fort. Die Kriegführung ist dabei eine biologisch determinierte Verhaltensweise, die zwingende Folge der Produktion von Nachkommensüberschuss. Als biologisches oder tierisches Verhalten liegt sie im übrigen jenseits von moralischen Wertungen. Sie ist ein Phänomen, das sich logisch aus der Überproduktion von Nachkommen bei nicht wachsender Erdoberfläche und nicht steigenden Nahrungsressourcen ergibt.
Dieser biologisch durch genetisch gespeicherte Verhaltensprogramme gesteuerte Prozess wird jedoch von dem überlagert, was ich als "Zivilisation" definiere. Deshalb gibt es für mich nur eine Zivilisation, wie es auch nur eine Evolution gibt. Zivilisation ist die Fortsetzung der Evolution auf geistiger Ebene aber mit gleichen Mitteln. Da an die Stelle der Übervermehrung von Individuen die Übervermehrung von Ideen und Hypothesen und anstelle der Kriege der wissenschaftliche Versuch tritt, werden Massenmorde überflüssig. Das tatsächliche Verhalten des Menschen und der menschlichen lebenden Systeme höherer Ordnung ist also in der Gegenwart eine Mischung von evolutionär determinierten Verhaltensweisen (Vermehrung genetisch gespeicherter Daten durch Überproduktion von Individuen und Selektion durch aggressives Verhalten) und zivilisatorischem Verhalten (wissenschaftlich-technischer Entwicklung körperexterner Organe).
Nebenbei sei noch bemerkt, dass sich der Prozess der Zivilisation in verschiedenen Kulturen jeweils spezifisch äußern kann. Es gibt also viele Kulturen aber nur eine Zivilisation.
Der Beginn der Zivilisation ist jedoch eng mit dem Begriff "Kultur" verbunden, weil die Kultivierung des Bodens, der Übergang vom jagenden Menschen zum sesshaften Menschen, der Ackerbau und Viehzucht betreibt, auch als Beginn der Zivilisation angenommen werden kann.
Entscheidend sind jedoch nicht äußere Verhaltensweisen, wie jagen oder Viehzucht betreiben, sondern die Veränderungen, die sich in der Psyche des Menschen abgespielt haben.
Rudi Zimmerman |