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Die Entwicklung meiner philosophischen Ideen aus persönlichen und beruflichen Erfahrungen
In der Grundschulzeit von 1955 bis 1961 hatte ich das Glück, von der 1. bis zur 6. Klasse von einer Klassenlehrerin geistig befruchtet zu werden, die mich durch ihre Naturverbundenheit sehr förderte und mich gut benotete. Sie hieß “Fräulein”.... Seinerzeit hießen alle Lehrerinnen "Fräulein", da sie, falls sie heirateten, aus dem Schuldienst ausscheiden mussten und nur noch für ihre Familie da sein durften (das sogenannte Lehrerinnenzöllibat). Besonders schön waren der Naturkunde- und der Heimatkundeunterricht durch sie. Auch die Handarbeitskunde im Nähen, Stricken, Häkeln, Weben und anderen praktischen Fertigkeiten hat mir sehr gut gefallen. Durch ihre guten Noten konnte ich danach aufs Gymnasium wechseln. Leider verstarb mein Vater sehr früh. Ich war erst 9 Jahre alt, fühlte mich jedoch durch den Einfluss der Straße und der dortigen Umgebung schon sehr groß. Gelegentlich rauchte ich sogar schon gefundene Kippen oder eine spendierte Zigarette und traute mich in das Revier der Barackenkinder, die das gegenüber liegende Gelände beherrschten. Im Anschluss an Familienfeiern leerte ich heimlich die gut schmeckenden Reste der stehen gebliebenen Schnapsgläser. Während dieser Jahre erfuhr auch ich praktisch die Fortschritte der technischen Evolution: in der Zeit nach der Einschulung gab es Roller und kleine Fahrräder, die man sich beim Kohlenhändler ausleihen konnte, später parkte schon das erste kleine Auto des Pfarrers in der Straße, die eigentlich uns Kindern gehörte – Spielplätze gab es erst später. Wir hatten noch genug Platz auf den Straßen, um Fahrradkriegezeck zu spielen. Die Schienen der Straßenbahn störten jedoch sehr. Später wurden die Straßenbahnen zum Glück abgeschafft, aber in der Zeit fuhren schon so viele Autos, dass die Straßen nun ihnen gehörten. Anfangs (1955) gab es nur eine Familie in der Straße, die einen Fernseher hatte, so dass die Kinder der Straße dort artig um Erlaubnis fragten, ob sie fernsehen durften – z.B. "Abenteuer unter Wasser" mit Mike Nelson oder "Mutter ist die beste". Anfangs gab es nur ein Programm und solche Serien nur einmal wöchentlich, später gab es dann ein zweites und immer mehr Programme, mehr Sendezeit, mehr Serien und das auch noch täglich.
Leider kam es 1961 durch den rücksichtslosen Eingriff der Staatsmacht in mein Leben zur Trennung von meinem großen Cousin, der mir durch seine überlegene Weisheit u.a. den Unterschied zwischen Mann und Frau vermittelt hatte. Mir wurde schmerzlich klargemacht, was das Machtmonopol des Staats bedeutete.
Das Gymnasium war leider sehr ätzend mit seinen ständigen Leistungskontrollen. Es hat ein langweiliges breites naturkundliches Zwangswissens vermittelt, aber keine Freude am Entdecken. Interessanter und äußerst spannend waren die gesellschaftlichen Entwicklungen: die Musik des Rock and Roll, dann die Revolution der Musik durch die Beatles und die "Stones", deren legendäres Konzert in der Berliner Waldbühne ich 1965 miterleben konnte. Die internationale Jugendbewegung, initiiert durch die Protestsongs von Bob Dylan, Donovan und anderen, die Hippiebewegung mit dem Einreißen bürgerlicher Wertvorstellungen von Leistung und Anpassung, der Vormarsch der Drogen in die bis dahin vom Alkohol beherrschte Welt der Genussmittel, waren prägende Erfahrungen. In meiner Grundschulzeit hatten meine Erlebnisse mit Massenphänomenen im Besuch von Fußballspielen im Olympiastadion bestanden, später in der Teilnahme an Beatkonzerten in der Waldbühne, 1969 war dann der Höhepunkt die Teilnahme am mehrtägigen "Isle of White Festival of Musik" mit Bob Dylan (dem europäischen Pendant zu Woodstock).
Nach dem Abitur 1968 hatte ich ein Studium an der FU (freie Universität Berlin) begonnen. Fesselnder war allerdings die sogenannte "Studentenrevolution" (die 68er-Bewegung) mit ihrer Infragestellung der staatlichen Autorität, der außerparlamentarischen Opposition, der vom SDS (Sozialistischen Studentenbund) organisierten Veranstaltung im Audimax der TU und FU und den Vietnamdemonstrationen, den Sit-ins auf dem Ku`damm, den Erfahrungsberichten der Kummune 1 (Teufel, Langhans, Kunzelmann u.a.) und deren Aktionen, die die Staatsmacht der Lächerlichkeit preisgaben. Die Staatsmacht schlug allerdings mit brutaler körperlicher Gewalt zurück, erschoss zunächst den harmlosen Studenten Benno Ohnesorg (später Georg von Rauch). Den Tätern im Polizeidienst passierte gar nichts, sie wurden juristisch von Schuld frei gesprochen, was von vielen als Freibrief zur Ermordung von kritischen Studenten verstanden wurde, so das die Szene sich radikalisierte, die RAF gegründet wurde und Zulauf erhielt. Ich selbst kümmerte mich um drogenabhängig gewordene Freunde meines Kiezes, schloss mich dem Verein "Arbeitskreis für Friedens- und Konfliktforschung" an (AfK), der Wohngemeinschaften zur Hilfe für "Fixer" (Drogenabhängige) gründen wollte, und zusammen mit der Treberhilfe (Treber= obdachlose Jugendliche) die erste Hausbesetzung in Berlin durchführte (Georg von Rauch Haus, 1971). An der FU-Berlin besuchte ich Seminare von Helmut Gollwitzer (bei dem auch Rudi Dutschke studiert hatte) über "Christentum und Marxismus" und "Christentum und Psychonalyse", und war über die "Rote Zelle Medizin" Studentenvertreter im Fachbereichsrat. Nach Abschluss des Studiums ging ich arbeiten und bildete mich weiter. Ich lernte viel von sogenannten "Irren". Fasziniert hat mich stets die alternative Interpretation der Realität durch die sogenannten "Schizophrenen" und deren Unbeeindruckbarkeit durch Argumente. Der Austausch von Argumenten war in der Zeit der Studentenbewegung sozusagen der Königsweg zur Erkenntnis der Wahrheit, die allerdings zu keiner wesentlichen Änderung der realen Machtverhältnisse führte. In der Psychoanalyse sollte die Bewusstwerdung des Unbewussten im therapeutischen Dialog zur Veränderung der Persönlichkeit beitragen, was sich jedoch der Verifizierbarkeit entzog. Beim Schizophrenen war es umgekehrt: das, was ich als unumstößliche Realität betrachtete, indem ich mich dem allgemeinen Urteil unterwarf, interpretierte er ohne inneren logischen Fehler einfach anders, indem er sich selbst anstelle der Allgemeinheit als Bezugspunkt setzte. Er war das Zentrum des Weltgeschehens. Erstaunlich war jedoch, dass sich dies auf chemischem Weg, durch Einsatz von Neuroleptika, änderte. In "Bonnies Ranch" lernte ich psychisch kranke Rechtsbrecher kennen. Eine Personengruppe, für die im psychotischen Zustand die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens praktisch nicht gelten, so dass auch körperliche Gewalt angewendet wird, selbst gegen den eigenen Körper. Schmerzgefühl und Schuldgefühl sind hier zeitweilig außer Kraft gesetzt. Unabhängig von der Diagnose besserte sich nahezu jede seelische Krankheit, wenn der Betroffene eine sinnvolle Aufgabe innerhalb einer Gemeinschaft bekam, aus der er offensichtlich narzisstische Befriedigung saugen konnte, also Anerkennung bekam. Die Politiker interessierten sich dafür jedoch gar nicht und reformierten die Gesundheitsversorgung, indem sie es den kranken selbst überließen, sich eine Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt zu suchen.
Ich stieg dann aus der Leistungsgesellschaft aus und wurde Beamter. Nun hatte ich Zeit, mich um "Familie" zu kümmern. Ich heiratete die Mutter meines ersten Sohnes, die mir einen weiteren Sohn schenkte, und begann, meine Erfahrungen zu reflektieren. Ich analysierte (psychisch gesunde) Mehrfachmörder und wollte die Frage beantworten, ob sich Morde aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen voraussagen ließen. Ergebnis dieser Dissertation war, dass ich den Freudschen Destruktionstrieb verneinte und Kapitalverbrechen als Folge unterdrückter Selbstentfaltungkräfte des Menschen erklärte. Wächst der Mensch in familiären oder/und gesellschaftlichen Verhältnissen auf, die seinen Raum für Selbstentfaltung immer weiter einschränken, kann es in harmlosen Versagungs- oder Versuchungssituationen zum Ausbruch rücksichtloser Gewalt kommen. Die dem zugrunde liegende Kraft dient natürlicherweise jedoch der Selbstentfaltung und ist hier "nur" fehlgeleitet. Es handelt sich jedoch primär nicht um eine aggressiv-destruktive Kraft. Personen mit einem derartigen Gewaltpotenzial lassen sich zwar relativ leicht identifizieren, sie sind in der Gruppe der sogenannten Dissozialen (oder Antisozialen) und Borderline-Persönlichkeiten, besonders unter Jugendlichen, sogar recht häufig anzutreffen, allerdings kommt es zu Morden nur, wenn zusätzlich äußere Bedingungen eintreten, die sich der konkreten Vorhersage deshalb entziehen, weil sie als solche eher harmlos und alltäglich sind.
Aus dieser Beschäftigung heraus entwickelte ich anschließend meine "Philosophie lebender Systeme", weil ich die beiden Kräfte der Selbsterhaltung und der Selbstentfaltung als allgemeingültige Grundkräfte aller lebenden Systeme erkannte. Hierunter fallen insbesondere auch lebende Systeme höherer Ordnung, in denen das Individuum nur ein Element ist, vergleichbar der Zelle im mehrzelligen Organismus. Diese beiden Grundkräfte wirken demnach auch in der biologische Art (der Pflanzen und Tiere) und auch in die Menschheit, die ja eine Tierart darstellt. Da diese sich in unterschiedliche Sprachgemeinschaften bzw. Staaten zerteilt, wirken diese Naturkräfte auch in den menschlichen Gemeinschaften, z.B. den Staaten. Auch in der Art wirkt also eine Wachstumskraft – hier macht sie sich in den Individuen als Sexualtrieb bemerkbar und führt zur Überproduktion von Nachkommen. Diese ist Voraussetzung für die dann durch Konkurrenz wirksame Selektion. Überproduktion von Nachkommen und Selektion sind, wie Darwin gezeigt hat, die beiden Prinzipien, die zur Evolution führen. Das Individuum als Element des Staats ist für diesen jedoch lediglich ein Werkzeug zur Durchsetzung des staatlichen Wachstumsinteresses, das er im Extremfall durch Kriege zu realisieren sucht, bei denen er seine Bürger dem übergeordneten Staatsziel opfert und in den Krieg schickt. In Friedenszeiten realisiert der Staat seine Selbstentfaltung durch wirtschaftliches Wachstum zum Wohle seiner Bevölkerung.
Diese Grundgedanken meiner philosophischen Ideen entstammen also aus meiner beruflichen Beschäftigung mit Menschen, deren Selbstverwirklichung oder Selbstentfaltung behindert wird.
Diese Ideen veröffentliche ich seit 1999/2000 unter dem Pseudonym Rudi Zimmerman in Büchern und im Internet.
Rudi Zimmerman
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