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Reiki-Hände
Vor 2 Jahren kam mir die Idee, nach langen Jahren doch einmal wieder Schlittschuhlaufen zu gehen. Der Tag wurde und wurde nicht hell und da entwickelte ich der Plan, im Dunkeln auf der schönen 400m-Bahn im Flutlicht Schlittschuh zu laufen. Da sieht man das schlechte Wetter nicht so, weil es ringsrum dunkel ist. Also suchte ich mir im Keller ein paar abgelegte Schlittschuhe meines Sohnes, die dieser nicht mehr benötigt. Ich fand auch zwei einzelne Kufenschoner unterschiedlicher Bauart, die allerdings auf kleinere Schlittschuhe eingestellt waren. Also musste ich deren Spanner einfach nur nach hinten versetzen, um sie passend zu machen. Diese Spanner waren mit einer Schraube und einer Gegenmutter befestigt, die abgeschraubt und an der neuen Position wieder angeschraubt werden mussten. Eine leichte Aufgabe. Dachte ich.
Aber es fing mal wieder so an: Ich mache mich ans Werk und greife zu einem Schraubenzieher. Mit der linken Hand halte ich die Mutter fest und mit der rechten den Schraubenzieher bzw. Schraubendreher, wie mir jemand, der es wissen muss, kürzlich sagte. Schrauben zieht man nicht, sondern man dreht sie. Na gut. Ich drehe also die Schraube mittels Schraubendreher aus der Mutter und halte diese dabei mit der linken Hand fest, damit sie sich nicht mitdreht. Nun kommt mir ein fataler Gedanke: "Pass bloß auf, dass Du die Mutter nicht fallen lässt, wenn die Schraube aus der Mutter raus ist." Kaum hatte ich das gedacht, da ist die Mutter raus und es kommt, was kommen musste: die Mutter fällt mir aus der Hand. Habe mal wieder zu spät dran gedacht. Die besten Sachen fallen mir immer zu spät ein. Oder habe ich sie womöglich fallen gelassen, weil ich daran gedacht habe, sie nicht fallen zu lassen? Vielleicht war der Gedanke, sie nicht fallen zu lassen, Schuld an ihrem Fall? Der Gedanke war mir gekommen, weil es nicht das erste Mal gewesen wäre. Ehrlich gesagt, könnte man von einer gewissen Regelmäßigkeit sprechen, dass mir die Mutter aus der Hand fällt, wenn ich alle paar Jahre mal eine Schraube aus ihrer Gegenmutter rausdrehe. In der Regel suche ich dann und suche und suche, bis ich sie wieder gefunden habe – falls ich sie überhaupt wiederfinde. Manchmal ist es schon vorgekommen, dass ich sie nicht wiedergefunden habe und den Plan, etwas zu reparieren, vorläufig aufgeben musste. Ich musste mir dann erst bei nächster Gelegenheit eine neue passende Mutter kaufen. Das war früher beim Eisenwarenhändler an der Ecke einfach. Heutzutage muss ich in den Superbaumarkt fahren und 100 Muttern kaufen, obwohl ich nur eine brauche. Dafür könnte ich dann theoretisch aber noch öfter was reparieren. Wenn aber wieder mal was zu reparieren ist, brauche ich jedoch erfahrungsgemäß eine andere Größe und muss wieder 99 Muttern kaufen, die ich nicht benötige. Hoffentlich braucht mein Urenkel mal diese Größe. Falls ich überhaupt mal einen bekomme. Erleben werde ich das sicher nicht. Ich habe ja noch nicht einmal Enkel. Aber in dem Fall war die Mutter nicht mal auf den Boden gefallen, sondern lag auf dem Kufenschoner.
Als ich die Schraube dann durch das letzte Loch stecke und sie nun wieder in die Mutter drehen will, merkte ich, dass ich unruhig werde. Es bildet sich ein leichter Schweißfilm an meiner Stirn und fast unsichtbar beginnen meine Hände zu zittern. Ich spüre den Wunsch, eine Pause einzulegen und erst einmal ein Bierchen zu trinken oder mir einen Kaffee zu machen. So hatte ich das früher schon öfter gemacht bei solchen Arbeiten. Ich legte dann den Schraubendreher oder den Hammer, oder was ich gerade für ein Werkzeug in der Hand hatte, kurz zur Seite, nahm irgendwo gemütlich Platz anstatt mich derartig anzustrengen und trank erst einmal eine gemütliche Tasse Kaffee. Oder ein Bierchen. Meist war danach dann allerdings der Hammer weg. Oder der Schraubendreher. Ich griff ins Leere. Wo ist nur der bescheuerte Hammer? Durch solche blöden Suchereien habe ich schon etliche Zeit sinnlos vergeudet. Zusammengezählt in meinem bisher schon über 60-jährigen Leben bestimmt einige Tage.
Viele Schrauben habe ich ja nicht rein- oder rausgedreht in meinem bisherigen Leben. Immerhin stehe ich in dem Ruf, mich zu drücken, wenn irgendwelche derartige Arbeiten gemacht werden müssen. Eigentlich weiß jeder in meinem Bekannten- und Verwandtenkreis inzwischen, dass ich zwei linke Hände habe.
Das wusste sogar schon meine Mutter, die seit langem tot ist. Und meine Frau weiß auch seit langem, dass sie mit mir einen Fehlgriff getan hat. Ein Mann muss nämlich solche Sache können, sonst ist er kein Mann. Eine Frau muss kochen können und das Haus sauber halten und ein Mann muss Kleinigkeiten reparieren können. Die Frau ersetzt dem Mann die Putzfrau und die Köchin und der Mann der Frau den Klempner und den Maler. So ist es normal. Aber mit mir ist das unnormal. Ich bin quasi unnormal. Ein unnormaler Mann. Ein Versager, denkt meine Frau. Zum Glück kann man sich heute gut die Fähigkeiten mieten, die man benötigt. Das kommt aber zu teuer, meint meine Frau, die eigentlich auch ein sehr guter Maler ist. Aber was kann ich dafür? Ich mache das ja nicht absichtlich. Ich bin ja nicht absichtlich ungeschickt. Wie ich also darüber so nachdenke, die Schraube reindrehe ohne mir ein Bierchen zu holen oder einen Kaffee zu kochen, sondern mich mit Hilfe einer kurzen Meditation beruhige und dann die Schraube von dem zweiten Kufenschoner rausdrehen will, da fällts mir wie Schuppen von den Augen:
meine Hände wollen das nicht!!
Die wollten das noch nie. Die wollten noch nie irgendwelches Werkzeug anfassen. Werkzeug ist ihnen zuwider!
Ich habe nun mal keine Werkzeughände. Ich weiß zwar noch nicht, was für Hände ich habe, aber Werkzeughände bestimmt nicht! Wahrscheinlich habe ich Fühlhände. Sind nicht Hände eigentlich Sinnesorgane? Sie fühlen Berührung, Druck, Wärme und Vibration und vor allem erkennen sie Schädigungen, was sie mir durch Schmerzempfindung melden. Also unter Verwendung des Gehirns. Und so kaltes Metall wollen die nicht fühlen. Das lassen sie einfach fallen, bevor sie meinem Großhirn etwas melden. Na schön, nun weiß ich auch endlich, warum ich nicht somatisch tätiger Arzt geworden bin. Das morgendliche "Schlachtfest" auf der Station beim Blutabnehmen war mir immer zuwider. Ich habe zwar nicht die Spritze fallen lassen, aber ich bin vor der Werkzeugmedizin geflohen. Da ist ja der Arzt kein Arzt, sondern Anhängsel aller möglicher Werkzeuge und Maschinen, muss die Spritze bedienen und diesen und jenen Apparat. Das ist Stress. Das Dasein als Anhängsel von Apparaten. Und das wird immer schlimmer. Da bediene ich dann lieber alle paar Jahre mal einen Schraubendreher oder eine Bohrmaschine. Damit kann ich dann höchstens eine leblose Wand kaputtbohren und nicht einen Menschen, der sowieso schon leidet. Na ja, der Zahnarzt bohrt seinen Patienten ja gesund und der Chirurg schneidet den Patienten gesund und schön. Falls er Schönheitschirurg ist. Aber mir haben schon immer nicht die schönen, sondern die besonderen Menschen gefallen, die nicht das Einheitsmaß hatten. Und die nicht in der Einheitsspur dachten. Deshalb bin ich in die Psychiatrie gegangen. Meine beiden linken Hände konnten da auch keinen Schaden anrichten.
Als ich dann die zweite Schraube drin hatte, musste ich feststellen, dass die Kufenschoner gar nicht auf die Kufen passten, weil die modernen Kufen komischerweise von der Seite betrachtet nach unten etwas konvex sind - also nach unten leicht rund ausgebeult - und nicht gerade - also linear - wie die Kufen und die Kufenschoner früher.
Da hatte ich also mal wieder meine schöne Zeit sinnlos verplempert. Typisch.
Ergänzung: Diese Kurzgeschichte verfasste ich vor etwa 1-2 Jahren. Inzwischen weiß ich, was ich für Hände habe: ich habe Reiki-Hände. Ich habe mich von der Reiki-Meisterin Maitri Hillebrecht einweihen lassen und nun weiß ich und wissen meine Hände, wozu sie gut sind und was sie können: sie sind heilende Hände. Sie sind zum Übertragen von Reiki geschaffen. Ich brauche sie nur aufzulegen und dann wirken sie ganz von selbst.
Rudi Zimmerman Webphilosoph, Arzt, Reiki-Überträger |