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Die Arbeit und das Geld
Kapitel 2.8. des Buchs : Zivilisation als Fortsetzung der Evolution. Die Entwicklung der Erdbevölkerung zum System Menschheit. ISBN 978-3-00-024701-9
Historisch betrachtet gab es zunächst die Arbeit in Form menschlicher Betätigung zur Herstellung von Werkzeugen, die die Effektivität der Hände vergrößern. Gerade unter diesem Gesichtpunkt spricht die Philosophie lebender Systeme von körperexternen Effektoren. Diese optimieren die menschlichen Bewegungen, den Nutzungsgrad. Spätere Werkzeuge erweitern die menschlichen Fähigkeiten und stellen das Individuum dadurch, dass mehrere Personen an der Erfindung und Herstellung einer Maschine beteiligt sind und diese von vielen Menschengenutzt wird, in eine Gemeinschaft. Über den Effekt der Erhöhung des Selbstwertgefühls habe ich bereits gesprochen.
Als Tauschäquivalent für diese Produkte menschlicher Arbeitstätigkeit wurde das Geld entwickelt. Und mit der Einführung von Maschinen, die durch Fremdenergie betrieben werden und gemeinschaftlich genutzt werden, hat das Geld als Arbeitslohn eine besondere Bedeutung erhalten. Das Geld wird hier als Äquivalent für eine Arbeit und für die Zeit, während der die Arbeit getan wird, bezahlt. Das Individuum wird in seiner Arbeitstätigkeit an einer derartigen Maschine zu einem Teil dieser Maschine, ist an der Herstellung eines Produktes beteiligt, das von seinen Mitmenschen benötigt wird und wird dadurch zum Effektor für seine Mitmenschen. Das Individuum entscheidet andererseits als Käufer einer Ware darüber, welches Produkt es erwirbt, wo dieses und von wem dieses also in Zukunft nachproduziert wird. Damit wird der Käufer zu einem Entscheider, zu einem Dominator, wie ihn die Philosophie lebender Systeme bezeichnet, und der Arbeiter ist sein Effektor. Ebenso ist es im Dienstleistungsbereich. Der Käufer einer Dienstleistung entscheidet, welche Dienstleistung er benötigt, er ist der Dominator. Der Empfänger der Gegenleistung, des Lohns, ist der Effektor.
Das Leben des Menschen in der gegenwärtigen Zivilisation ist zeitlich geteilt in Effektorentätigkeit, die dem Geldverdienen dient und Dominatortätigkeit, in der das Geld ausgegeben wird. Ausgegeben wird das Geld nun nicht nur für Produkte, die als körperexterne Effektoren genutzt werden (wie das Auto und was damit an laufenden Kosten zusammenhängt), oder die der Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes dienen (Bekleidung), sondern insbesondere auch für Genussmittel. Diese werden vom Individuum verbraucht, um sich Genuss, positive Gefühle, zu verschaffen. Die Erzeugung von positiven Befriedigungsgefühlen ist somit nicht mehr an Tätigkeit gebunden, sondern an Konsum, an den Verbrauch. Für die Psyche, für das Gefühlsleben des Individuums, hat dies besondere Konsequenzen. Nehmen wir als Beispiel das Fernsehen, weil dieses seit seiner Erfindung weit verbreitet ist. Das Fernsehen dient nur zum geringen Teil der Erlangung von Information, überwiegend dient es dem Genuss. Auch die Nahrungsaufnahme kann als Beispiel für diese Veränderung des Konsumcharakters herangezogen werden, da sie in der gegenwärtigen Zivilisierung ihre Bedeutung für die Lebenserhaltung weitgehend verloren hat und überwiegend dem Genuss dient, was zu früheren Zeiten nur in bestimmten Gesellschaftskreisen der Fall war. Da der Genuss nicht für das Überleben erforderlich ist, sondern sozusagen etwas Überflüssiges darstellt, ist er der Inbegriff des Luxus. Die Frage ist, worin dieser Genuss besteht und welche psychischen Auswirkungen diese Entwicklung hat. Das Entscheidende scheint mir die Abkopplung von Tätigkeit und Belohnung zu sein. Das Individuum verschafft sich positive Gefühle, die von der Natur biologisch als Belohnung für bestimmte Leistungen vorgesehen ist, ohne diese Leistungen zu vollbringen. Der Mensch ist in der Lage, seine biologischen Belohnungssysteme nach eigenem Ermessen zu aktivieren. Das führt sozusagen zu einem indirekten Leben. Also: das Individuum muss nicht heldenhafte Leistungen vollbringen, um von seinen Mitmenschen gelobt zu werden, sondern es schaut sich einen Film über einen Helden an und erlebt per Identifikation mit diesem dessen Abenteuer und dessen Sieg als eigenen Sieg. Nur durch Betätigung seiner Augen erlebt er also Furcht, Ängste, Hochgefühle und Siegestaumel. In Computerspielen („Egoshooter“) kann er sogar selbst Menschen ermorden und das damit verbundene Hochgefühl erleben, die Menschheit retten usw..
Indem das Individuum durch Theatereintrittskartenkauf oder Zahlung der Fernsehgebühren Mitmenschen dabei beobachten kann, wie diese sich hassen oder lieben, erlebt es die entsprechenden Gefühle mit, ohne dabei aktiv zu sein. Sehr beliebt ist die Beobachtung von Kämpfen zweier Parteien beim Fußball oder anderen Spielen, die in unserer Zivilisation zum Glück nicht mit konkreter Lebensgefahr verbunden ist, wie zu früheren Zeiten im alten Rom.
Auf das genussvolle Gestalten der Nahrungsaufnahme habe ich bereits hingewiesen, ja selbst dies wird in der gegenwärtigen Zeit der Fernsehköche noch vom eigentlichen Tun entfremdet. Das Individuum lebt, und zwar ohne sich dessen bewusst zu sein, mehr und mehr virtuell. Manche Individuen treiben es auf die Spitze und steigern ihren Genuss durch Drogeneinnahme, was beim Heroin jedoch nur zu ganz kurzfristiger Befriedigung führt, da der Körper anscheinend auch eine Adaptationsmöglichkeit hat, so dass die Droge nach kurzer Zeit bereits lediglich zur Erreichung eines Normalzustands eingenommen werden muss, in welchem Entzugserscheinungen vermieden werden.
Besonders die gegenwärtige westliche Kultur ist dadurch gekennzeichnet, dass Arbeit überwiegend nicht mehr zur Sicherung des Lebensunterhalts dient, sondern die Genussoptimierung der Anreiz zum Arbeiten, verstanden als Geldverdienen, wird. Wer mit dem Überleben zufrieden ist, für den zahlt die Allgemeinheit die Kosten zum Lebensunterhalt, ohne dass er eine Arbeitsleistung erbringt.
Die Auswirkungen dieser Abkopplung von Leistung und Belohnung hängen wohl von der Ausgangsposition des jeweiligen Individuums ab, insbesondere von seiner Arbeitsposition und seiner gesellschaftlichen Lage. Wird das Individuum von seinen im Berufsleben erbrachten Leistungen nicht befriedigt, werden seine Fähigkeiten hier nicht gesellschaftlich genutzt und handelt es sich um stupide Tätigkeiten, die sozusagen jeder andere ausführen könnte, liefert also die Berufstätigkeit keine oder wenig narzisstische Befriedigungen, so können diese virtuellen Befriedigungsmöglichkeiten, diese Genussmöglichkeiten, zu einer narzisstischen Befriedigung führen, die diesen Mangel kompensieren. Dies könnte man als Ersatzbefriedigung bezeichnen. Da es sich hierbei wahrscheinlich um einen sehr hohen Bevölkerungsanteil handelt, der ohne diese Genussmöglichkeiten an einem Defizit narzisstischer Befriedigung leiden würde, haben diese Genussmöglichkeiten eine stabilisierende Funktion auf die Gesellschaft. Ohne diese und allein durch die beruflich bedingte Selbstbestätigung würde ein großer Teil der Bevölkerung an einem narzisstischen Defizit leiden, was sich in Unzufriedenheit und aggressivem Verhalten äußern würde.
Die Individuen, deren Berufsausübung befriedigend ist, benötigen derartige Zusatzbefriedigungen einerseits nicht, gerade für diese stellen sie einen Luxus dar, der ihre Lebenszufriedenheit steigert. Ein gewisses Problem könnte die gegenwärtige Zivilisierung für Personen sein, die nach einem Sinn im Leben suchen. Dies ist jedoch eine verschwindend geringe Minderheit, die gesellschaftlich keine Bedeutung hat. Insgesamt kann man wohl sagen, dass die gegenwärtige kulturelle Entwicklung der westlichen Gesellschaft dadurch gekennzeichnet ist, dass die technisch bedingten Genussmöglichkeiten ein hohes Niveau der allgemeinen narzisstischen Befriedigung der Gesellschaft gewährleisten.
Rudi Zimmerman |