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Die Rolle des positiven Feedback und der Antizipation
Kapitel 2.6. des Buches Zivilisation als Fortsetzung der Evolution. Die Entwicklung der Erdbevölkerung zum System Menschheit. ISBN 978-3-00-024701-9
Bevor ich zur Rolle des Geldes bei der Umstrukturierung der Psyche komme, möchte ich noch einmal das bisher erarbeitete zusammenfassen.
Ich hatte zwar einen Verzicht auf eine Befriedigung (Verzicht auf Tötung der Beute, Verzicht auf die Einverleibung der Nahrung) an den Anfang gestellt und auch schon auf die Fähigkeit zur Antizipation hingewiesen, aber die spätere narzisstische Belohnung noch nicht ausreichend gewürdigt.
In der Natur entwickelt sich nichts, was nicht belohnt wird.
Auch die biologische Evolution beruht darauf, dass bestimmte Verhaltensweisen belohnt werden, wobei die eine Art der Belohnung zunächst darin besteht, dass das Individuum überlebt. Andere Verhaltensweisen, die mit dem Überleben unter den gegebenen äußeren Verhältnissen nicht in Einklang zu bringen sind, werden mit dem Tode bestraft. Damit hat sich der Fall dann erledigt.
Das Überleben ist die erste Belohnung für angepasstes Verhalten.
Für die Steuerung menschlichen Verhaltens sind zwei weitere Arten der Belohnung maßgebend, nämlich die narzisstischen Belohnungen und die sexuelle Belohnung. Beide werden körperintern durch Ausschüttung chemischer Substanzen ins Blut vermittelt.
Oben habe ich bereits die narzisstischen Belohnungen erwähnt. Diese sind sehr vielfältig. Sie bestehen darin, dass das Individuum sich über Lob freut, Erfolg genießt, auf die Bestätigung durch seine Mitmenschen mit positiven Gefühlen reagiert und ihm Anerkennung schmeichelt.
Der chemische Hintergrund dieses narzisstischen Belohnungssystem besteht wohl in einer Ausschüttung von Glückshormonen, derer es auch wieder mehrere gibt, die noch nicht vollständig erkannt sind, aber die Wirkungsweise dieser Steuerung ist bekannt. Jeder Mensch spürt jedenfalls die hier gemeinten positiven Gefühle, die nicht zufällig oder beliebig auftreten, sondern als Belohnung erlebt werden, weil sie erwartet werden dürfen als Ergebnis bestimmter Verhaltensweisen. Diese narzisstischen Belohnungen wirken als Motiv für menschliches Handeln. Menschliches Handeln ist somit nicht nur negativ determiniert durch Schmerzvermeidung, das dem Überleben nützt, oder Vermeidung des Todes durch Zufuhr von Sauerstoff und Nahrung, sondern es ist positiv motiviert durch die Suche nach Lob, Anerkennung und Bestätigung. Bestätigung erhält das Individuum einerseits durch den Eintritt eines erhofften Erfolges an sich, der im Grunde immer eine Erleichterung darstellt, andererseits durch seine Mitmenschen, die ihn loben, bewundern usw.. Es gibt hier diverse Abstufungen dieser narzisstischen Bestätigung. Dieses narzisstische Belohnungssystem lenkt das Individuum quasi unbemerkt in die Position innerhalb einer Gemeinschaft, in der es ein Optimum an narzisstischer Bestätigung bekommt. Theoretisch wird ein Handwerker in seinem Fach, das er beherrscht, am meisten Anerkennung erhalten, in anderen Fächern natürlich nicht. Anerkennung erhält das Individuum besonders auf dem Gebiet, auf dem es besondere Leistungen erbringt, und diese Leistung ist einerseits von angeborenen Fähigkeiten und andererseits von erlernten, erworbenen Fertigkeiten abhängig. Durch eine positive Rückkopplung seiner Mitmenschen (Lob, Anerkennung) wird das Individuum auf den Platz innerhalb der Gemeinschaft gelenkt, auf dem es seine Leistungsfähigkeit optimal entfalten kann. Dies soweit nur zur Theorie der Steuerung durch narzisstische Befriedigung (positive Rückkopplung).
Dieser Mechanismus beruht auf einer Ausschüttung von Glückshormonen in Abhängigkeit von der Leistung, ist also insoweit biologisch-angeboren. Andererseits ist das Ausmaß der Anerkennung von der Umwelt, von den Mitmenschen, von deren Reaktion, abhängig, so dass dies eine Steuerung von außen erlaubt.
Kommen wir zurück zur Veränderung der psychischen Struktur im Zivilisationsprozess des Menschen, die von Elias mit einer Zunahme des Selbststeuerungsvermögens charakterisiert wurde.
Nun wird klar, dass der wesentlich Grund für den Verzicht auf gegenwärtige Nahrungszufuhr oder für die Hemmung der Aggression in der späteren narzisstischen Belohnung liegt. Durch die spätere Belohnung erhält das gegenwärtige Handeln einen Sinn. Das Verhalten, das in der Gegenwart als unsinnig erscheinen könnte (Schonung des Feindes, Verzicht auf Sättigung), wird in der Zukunft belohnt. Die positive Rückkopplung erfolgt nicht sofort, sondern mit zeitlicher Verzögerung. In der Psychologie wird dies auch „Spannungsbogen“ genannt, dessen Ausmaß im übrigen auch in etwa mit der Intelligenz des Individuums korreliert.
Ostwald hat als Chemiker ja bereits darauf hingewiesen, dass jeder kulturelle Fortschritt mit einem Energiegewinn verbunden ist (sogen. Energetik). Jede technische Erfindung hat die Folge, dass der Mensch weniger eigene Energie einsetzen muss, um ein Ziel zu erreichen, weil ihm die Maschine die Arbeit abnimmt und das Individuum mit Hilfe einer Maschine Fremdenergie (Benzin, Elektrizität u.a.) nutzt. Ich möchte ergänzen: dieser Gewinn an Energie und Zeit, der für den Menschen mit der Nutzung einer Maschine (eines körperexternen Effektors in meiner Terminologie, bei Hass zusätzliches Organ) verbunden ist, macht das Individuum stärker, die Maschine erhöht seine Kraftentfaltung und die Wirksamkeit seiner eigenen Kraft. Dies ist der objektive Grund, warum der Mensch sich durch die Maschine stärker fühlt und die Maschine sein Selbstwertgefühl steigert. Es geht also bei der Zivilisierung nicht nur um scheinbar willkürliche Anerkennung durch die Mitmenschen, sondern die Nutzung körperexterner Effektoren erweitert die Handlungsmöglichkeiten des Individuums und steigert damit sein Selbstwertgefühl. Hinzu kommt die zeitliche Entlastung. Körperexterne Effektoren erbringen mehr Arbeit auch in kürzerer Zeit, sie erhöhen die Leistung (Leistung gleich Arbeit pro Zeit). Dies ist ebenfalls ein objektiver Gewinn, der mit Zufriedenheit registriert wird. Mit anderen Worten: die objektive Seite der Zivilisierung, der Energiegewinn durch die Erfindung von Maschinen bzw. körperexternen Effektoren führt innerpsychisch zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls. Sie ist mit narzisstischer Bestätigung verbunden. Diese ist nicht nur individuell, sie betrifft nicht nur die Erfinder der Maschinen, sondern es ist ein kollektiver Gewinn, weil ja die Maschinen von allen Menschen der Gemeinschaft genutzt werden können. die Eisenbahnen, das Telefon, die Straßen, das Auto, der Computer, das Flugzeug und vieles mehr sind nicht individuelle Steigerungen von Kraft und Fähigkeiten, sondern gemeinsame Erleichterungen der Gesellschaft, so dass die mit ihnen verbundenen psychischen Veränderungen ebenfalls kollektiv sind. Die allgemeine Steigerung des Selbstwertgefühls ist auch eine Voraussetzung dafür, allgemein Verzicht auf gegenwärtige Befriedigung zu leisten bzw. Befriedigung in die Zukunft zu verlagern. Damit ist bereits ein anderes Thema angesprochen, nämlich die Arbeit und das Geld.
Rudi Zimmerman Gesellschaftsphilosoph |