Die nette Motzverkäuferin
Ich sitze in der U-Bahn und träume so vor mich hin.
Da höre ich eine Frauenstimme: "Ich bin die nette Motzverkäuferin!"
Ich blicke also in Richtung Schallquelle.
Da drängelt sich eine junge Dame durch den Gang zwischen den Sitzreihen. Die U-Bahn ist nicht besonders voll. Aber die Dame hat einen Leibesumfang, der ihre Körperhöhe wohl noch um einige Zentimeter überschreitet. Damit passt sie kaum durch den Gang und muss sich drängeln.
Ich schaue also hin und sehe nur sie, aber keine Motz.
Die Zeitungen dieses Namens hat sie wohl vergessen - oder schon alle verkauft? Oder will sie virtuelle Motzzeitungen verkaufen?
Sie wiederholt stereotyp: "Ich bin die nette Motzverkäuferin!"
Aja. Sie bietet ja nun auch tatsächlich keine Zeitung zum Verkauf an, sonst müsste sie ja sagen: "Wer will eine Zeitung kaufen?" oder so etwas. Sie beschreibt ja nur sich selbst: "Ich bin die nette Motzverkäuferin!" Vom Verkaufen wollen keine Rede - nur von ihr.
Die meisten Verkäufer halten eine lange eintönig vorgetragene und auswendig gelernt Rede über sich, die Zeitung und den Preis und wer was davon bekommt - und nerven einen damit.
Die nette Motzverkäuferin verschont mich und die anderen Fahrgäste mit solchen Reden und schont meine Nerven. Sie untercheidet sich positiv von der Allgemeinheit der Obdachlosenzeitschriftenverkäuferinnen und -verkäufer. Sehr sympathisch.
Dafür gebe ihr ein kleines Geldstück.
Sie bedankt sich und wünscht mir einen "guten Tag".
Wollen wir mal hoffen, dass ihr Wunsch in Erfüllung geht, denke ich.
Und was soll ich sagen? Er ging.
Rudi Zimmerman Gesellschaftsphilosoph Autor |